Warte bis die Nacht anbricht by Robert Klement

Warte bis die Nacht anbricht by Robert Klement

Autor:Robert Klement [Klement, Robert]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: G&G
veröffentlicht: 2014-10-04T22:00:00+00:00


10

„ES gibt diesen Tag also wirklich“, dachte Simon: „Da wacht man auf und nichts scheint mehr, wie es war.“ Die Sonne war soeben über den Hügeln des Moors aufgegangen, aber sie war nicht stark genug, um die Schatten zu vertreiben, die sich in seinem Leben ausgebreitet hatten. Wie durch einen dunklen Vorhang drangen Geräusche in sein Bewusstsein und er spürte, wie es langsam heller um ihn wurde. Simon öffnete die Augen.

Benommen kroch er aus dem Schlafsack, gähnte schlaftrunken und torkelte zum Waldrand, er sehnte sich nach Licht und Wärme. Das Moor war wie von einem dichten Schleier bedeckt. Vereinzelt brach die Sonne zwischen den Nebelschwaden hervor. Sie war blutrot, ihr Licht gleißend, es schmerzte in den Augen. Dann atmete er tief die reine Morgenluft ein. Eine Libelle stand wie reglos in der Luft. Kirchenglocken tönten dunkel über das Moor.

Oft hatte er in den vergangenen Stunden nicht gewusst, wie er dieser nicht enden wollenden Finsternis und Einsamkeit entrinnen konnte. Immer wieder war er aufgewacht. Hinter jedem Baum, hinter jedem Strauch vermutete er seine Jäger. Wurzeln schnitten im Mondlicht Fratzen, schienen nach ihm zu fassen. Die Nacht narrte ihn mit hundert Geräuschen. Moore brachten mitunter schaurige Laute hervor, wenn das Wasser stieg oder der Schlick sich setzte. Es klang wie heftiges Schmatzen, oft wie ersticktes Schluchzen.

Manchmal war ihm, als berühre ihn jemand an der Schulter. Dann hatte er geglaubt, das Platschen von nackten Füßen im Schlamm zu hören. Da war auch dieses Geräusch raschelnder Blätter. Als würde jemand flüstern. Dann dieses Gefühl, jemand würde auf ihn zugehen, über ihm stehen. Kitty?

Er hatte von einer Riesenspinne geträumt, wohl deshalb, weil er in diesem Kloster von Spinnen umgeben gewesen war. Es war eine australische Trichternetzspinne, die gefährlichste Spinne der Welt gewesen, groß wie ein Golfball. Aus drei Meter Entfernung war das Ekeltier in diesem Alptraum langsam auf ihn zugekrochen. Schon hatte er geglaubt, ihre langen, haarigen Klauen an seinen bloßen Beinen zu spüren. Ein Biss, ein einziger Tropfen ihres Gifts und man fiel augenblicklich ins Koma, starb innerhalb von drei Stunden. Merkwürdigerweise zeigte das Nervengift bei einer Katze überhaupt keine Wirkung. Niemand wusste, warum dies so war.

Während er nachdachte, beobachtete er zwei Eichhörnchen. In rasender Geschwindigkeit erklommen sie Stämme, flitzten über Zweige und katapultierten sich mit waghalsigen Sprüngen von einem Ast zum anderen.

Noch vor wenigen Jahren hatte er Eichhörnchen aufgezogen und mit Katzenmilch gefüttert.

Als er zu seinem Liegeplatz zurückkehrte, brachen sich die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg durch das Geäst.

Auf dem Waldboden lagen aber noch tiefe, kalte Schatten. Der Geruch von Moos und Kiefern stieg in seine Nase.

Dann fiel sein Blick auf den weichen Waldboden.

Waren das nicht Fußspuren? Oder bildete er sich das nur ein. Leicht vornübergeneigt suchte er den Boden nach weiteren Spuren ab. Versteckte sich jemand hinter den Baumstämmen? Hinter dem Gebüsch?

Simon schüttelte den Schlafsack kräftig aus und rollte ihn zusammen. Als er seinen Weg fortsetzen wollte, blickte er sich am Waldrand vorsichtig um. Wie ein gehetztes, in die Enge getriebenes Tier nahm er Witterung auf. Weit und breit war keine Menschenseele zu erkennen.



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